Tagung mit Blick in die Zukunft: Künstliche Intelligenz im Vertrieb
- Christine Dicker
- 2. Juni
- 4 Min. Lesezeit
- HINTERGRUND -
Vom 24. bis 25. Mai traf sich der Europäische Verband Lifestyle (EVL) zu seiner jährlichen Mitgliederversammlung im Hotel „Papa Rhein“ in Bingen. Die Veranstaltung stand unter dem Titel „Future Sales – die Zukunft des Vertriebs“ – mit Fokus auf dem Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI). Außerdem feierte der EVL sein 20jähriges Bestehen.
Einstieg mit fünf Thesen zu KI im Vertrieb
EVL-Vorstand Axel Gottstein eröffnete das Tagungsprogramm mit einem Impulsvortrag zur Entwicklung der KI: „KI ist der größte Beschleuniger des Wandels. Für das Jahr 2030 wird ein KI-Marktvolumen von mindestens 800 Milliarden US-Dollar prognostiziert, wobei kaum ein Bereich des Wirtschaftslebens unberührt bleiben wird.“
Gottstein präsentierte zum Einstieg in das folgende Programm fünf Thesen für den Einsatz von KI im Vertrieb:
1. KI muss verkaufen – sonst bleibt sie nur ein teures Spielzeug.2. Kunden nutzen längst KI – nur der Vertrieb hinkt noch hinterher.3. Bauchgefühl ist schön – aber datenlos dumm.4. Verkäufer ohne KI wirken wie Berater ohne Werkzeuge.5. KI ist nicht Zukunft – sie ist der Maßstab der Gegenwart.
Zu diesen Thesen referierten an den beiden Tagen hochkarätige Referenten.
Prof. Peter Gentsch führte in das Thema ein mit dem Statement: „Wir stehen erst am Anfang“. Im Gegensatz zu früheren „KI-Wintern“ sei die Technologie aber nun auf Augenhöhe mit Forschung und wirtschaftlichen Anforderungen. Deshalb ist er überzeugt: „Die Zukunft wird gigantisch.“
Gentsch zeigte konkrete Anwendungsbeispiele: So nutzt Walmart KI-Agenten für Verhandlungen – mit bemerkenswertem Erfolg. Diese agieren als Mediatoren, die wirklich vermitteln. Amazon testet einen Shopping-Assistenten, der auch in anderen Shops einkauft, sollte ein Produkt auf der eigenen Plattform nicht vorrätig sein. Auch „echte“ Produktinnovationen seien dank KI wieder möglich, da sie neue Perspektiven für Forschung und Entwicklung eröffne.
Der KI-Experte Gentsch mahnte bei aller Euphorie aber auch: „Wir haben verlernt, Ergebnisse kritisch zu hinterfragen – und das ist gefährlich.“ Dieses Problem verschärfe sich, wenn auch das Prompten an die KI übertragen werde, was bereits weit verbreitet sei.
Der nächste Redner Thomas Noeding von der Agentur Social DNA stellte die KI-Revolution im Bereich Social Media vor. Demnach werde künftig nicht kreative Exzellenz, sondern algorithmisches Denken den Erfolg bestimmen. Plattformen wie TikTok sind dabei Treiber des Wandels.
Angesichts von 95 Millionen Instagram-Posts pro Tag (!) sind die Herausforderungen aber gewaltig, denn die organische Reichweite sinkt, während die Werbekosten steigen. Andererseits zeigt sich, dass KI-generierte Inhalte, sogenannte AI Creatives, klassische Varianten in Bezug auf Reichweite und Zielgruppenansprache längst übertreffen könne. Für mittelständische Unternehmen bedeutet das: KI kann das Social-Media-Marketing entlasten und effizienter gestalten.
Tom Noedings Empfehlungen für das KI-unterstütze Social-Media-Marketing lauten:
1. Kurzfristig: Algorithmus-Audit der eigenen Kanäle
2. Mittelfristig: Mit KI-Content-Erstellung experimentieren
3. Langfristig: Aufbau von KI-Kompetenz im Team
Digitalberater Andreas Krause, auch bekannt als „Mr. Pixel“, thematisierte die Herausforderungen im Umgang mit Daten im Unternehmen. Neben technischer Systemvielfalt und unstrukturierten Datensilos seien es vor allem menschliche Verhaltensmuster, die die Digitalisierung ausbremsen. Sein Fazit: KI-Kompetenz und emotionale Kompetenz bilden Gegensätze, die sich nicht auflösen lassen, aber in Einklang miteinander gebracht werden müssen.
Dr. Dirk Weiss, Geschäftsführer von Pangoron, stellte eine besonders praxisnahe, exklusive Anwendung von KI für den Europäischen Verband Lifestyle vor: Die Plattform Pangoron.com ermöglicht es, Produktsicherheitshinweise und Risikoanalysen vollautomatisiert in allen EU-Sprachen zu erstellen – schnell, präzise und rechtssicher. Die technische Dokumentation erfüllt alle gesetzlichen Anforderungen: Produktbeschreibungen, Funktionseigenschaften, Testergebnisse, Risikobewertungen und Zertifizierungen werden zentral und zehn Jahre lang gespeichert.
Rechtsanwalt Thomas Kerkhoff, langjähriger juristischer Berater des EVL, thematisierte die offenen Fragen rund um KI und das Urheberrecht. Sein Fazit: „KI ist für Juristen vom Himmel gefallen, sodass viele Aspekte noch nicht abschließend geklärt sind.“ Ein Beispiel ist das Urheberrecht: Da dieses einen menschlichen Schöpfungsakt voraussetzt, genießen KI-generierte Inhalte keinen automatischen Schutz. Auch der Begriff der „Schöpfungshöhe“, der urheberrechtlich geschützte Werke von solchen Leistungen abgrenzt, die keinem urheberrechtlichen Schutz unterliegen, müsse neu gedacht werden. Kritisch sei zudem, welche Quellen KI nutzt – so verwendet der Meta-Konzern neuerdings Nutzerinhalte noch ausgiebiger als Trainingsdaten.
Ralf Schuster, geopolitischer Berater der Helaba und dem EVL ebenfalls seit einigen Jahren eng verbunden, gab ein Update der aktuellen globalen Machtverschiebungen. Zum vermeintlich erratischen Verhalten von US-Präsident Donald Trump sagte er: „Nur weil er verrückt spielt, heißt das nicht, dass er es ist. ‚Make America Great Again‘ ist ein Eingeständnis von Schwäche, denn es besagt, dass die USA nicht mehr groß sind.“ Deshalb versuche Trump mithilfe der Medien so viele Strukturen wie möglich zu zerschlagen, um Veränderungen herbeizuführen.
Für Europa biete diese Entwicklung aber auch Chancen: Der Druck von außen könnte die Zusammenarbeit innerhalb der EU intensivieren. Zudem stehe Europa generell als Handelspartner für Länder wie China oder Indien hoch im Kurs, da diese Europa als Absatzmarkt benötigten. Für Importunternehmen bedeute das: Geopolitisches Risikomonitoring wird zur Pflicht. Schusters Tipp dafür: „Denken Sie langsam.“
Workshops und Stilwelten mit KI-Unterstützung
In vier Workshops vertieften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer anschließend zentrale Konferenzthemen. Besonders eindrucksvoll: die mithilfe von KI identifizierten Stilwelten für 2025/26 mit den Trendthemen „Neo-Analog“ (Anti-Screen-Erlebnisse), „Botanic Tech“ (Biophile Gestaltung und smarte Natur) und „Quiet Boldness“ (visuelle Ruhe als Statement). Drei Beispiele dafür, wie KI bereits heute dabei hilft, künftige Konsumtrends zu erkennen und für das Produktdesign zu nutzen.
Austausch und Ausblick
Auch das gemeinsame Netzwerken kam nicht zu kurz: Am ersten Abend lud die Messe Frankfurt in den Bingener Genussgarten ein und am zweiten Abend ging es mit dem Ausflugsschiff bis zur Loreley und zurück nach Bingen. Heike Tscherwinka, Geschäftsführerin des EVL, zog nach den zwei intensiven Tagen ein positives Fazit: „Die Veranstaltung hat gezeigt, wie wichtig der Verband ist, um gemeinsam nachzudenken und in die Zukunft zu schauen. Wir agieren hier mit einer Schwarmintelligenz, die alle schlauer macht.“
Über den EVL
Der Europäische Verband Lifestyle e.V. (EVL) ist ein unabhängiger Branchenverband. Die Mitglieder sind inhabergeführte mittelständische Unternehmen aus der Lifestylebranche mit Produkten aus den Bereichen Schenken, Wohnen und Kochen. Im Verband geht es darum, sich zu vernetzen und sich auf direktem Wege auszutauschen.Mehr als 150 Unternehmen profitieren von dieser Gemeinschaft. In diesem Jahr feiert der EVL sein 20-jähriges Jubiläum.
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