- EXKLUSIV: KONZEPTE -
Anschaulicher geht nicht: Ellen Wigner vom Mode- und Lifestyle Concept Store „erlebe Wigner“ zeigt in ihrem Vortrag bei der Ambiente Academy mit dem Titel „Der Store als temporärer Lebensraum: Kunst, Kultur und Kulinarik“ auf, wie Handel heute erfolgreich ist. Wir haben Sie vorab schon einmal nach dem Konzept und ihrer Sicht auf den Handel der Zukunft gefragt.
tischgespraech.de: Sie sind für Ihr Shop-Konzept ausgezeichnet worden und damit erfolgreich. Wie sieht das Konzept konkret aus?
Wigner: Konsequent entwickeln wir unser Ladengeschäft zu einem temporären Lebensraum unserer Gäste. Wir lösen in unserem Store Grenzen auf, indem wir mehrere Abläufe, die bisher nur getrennt auftraten, miteinander verschmelzen. Wir sind ein Fashion- und Lifestylestore, ein Restaurant, eine Kulturbühne, eine Begegnungsstätte, ein Workshop- und Atelierraum. Somit ist unser Store ein Erlebnisraum für unsere Kunden, in dem sie in unvergleichlicher Form die intermediale Verbindung von Literatur, Schauspielkunst, Musik, bildender Kunst und Workshops erleben können.
tischgespraech.de: Werden die Unterscheidungen bei den KonsumentInnen zwischen Bedarfsdeckung (online) und Eventeinkauf (stationär) immer größer und die damit einhergehenden Ansprüche immer höher?
Wigner: Ja. Früher basierte Handel auf der Idee, dass der stationäre Händler die Macht hatte und somit der lokale Experte war. Heute halten die Konsumenten den größten Laden der Welt samt dem Zugang zu allen Informationen in ihrer Hand – ihr Smartphone. Das heißt für den stationären Händler, dass er seinen Wert neu definieren muss. Das Anbieten von Ware und Service reicht nicht mehr. Er muss als Händler etwas kreieren, das ihn unterscheidet, das für den Kunden relevant, im Idealfall einzigartig ist. Er muss die hedonistischen, erlebnisorientierten Interessen seiner Kunden ansprechen. Sein Ziel als Händler muss es sein, selbst zur Marke zu werden.
tischgespraech.de: Welche Rolle spielt die Produkt-Kompetenz eines Händlers für ein Sortiment in der Zukunft noch oder konzentriert es sich auf die Inszenierungskompetenz?
Wigner: Ein attraktives Sortiment zu führen, ist nach wie vor die Grundvoraussetzung. Waren, die niemanden interessieren, können noch so gut inszeniert sein, sie werden nicht gekauft werden. Jedoch hat der Händler mit seinem Ladengeschäft heute eine neue Aufgabe: er darf seinen Laden als Theaterinszenierung auffassen. Wir haben uns hier bereits vor über zehn Jahren an Christian Mikunda orientiert. Er gilt als Vordenker der Erlebniswirtschaft und Begründer der Strategischen Dramaturgie.
tischgespraech.de: Wie stark ist der stationäre Handel verpflichtet, das Verkaufen als zweitrangig anzusehen und vielmehr eine Plattform für den Austausch zwischen den Menschen und vielleicht Elemente einer Sozialstation zu bieten?
Wigner: Wenn der Händler der Idee eines unterhaltsamen Theaterstücks folgt, sind seine Kunden das Pendant zum Theaterpublikum. So wie das Theater mit seinem Publikum arbeitet, sollte der Händler seine Kunden involvieren. Das heißt, der Kunde kann sowohl Betrachter sein als auch Akteur. Bei uns ist er in jedem Workshop, der bewusst und ausschließlich auf der Verkaufsfläche stattfindet, Akteur. Der Kunde, der an dem Workshop vorbei bummelt, der Betrachter. Unser Restaurant ist ebenfalls komplett in die Verkaufsfläche integriert. Somit bieten wir eine Plattform für den Austausch zwischen den Menschen und selbstverständlich Elemente einer Sozialstation. So wie früher, als der Begriff des dritten Ortes noch nicht so populär war, jede Kneipe, in der die Arbeiter ein Feierabendbier tranken, jeder Friseur (denken Sie hier aktuell an das Wachstum der Barbershops nur für Männer), jedes französische Bistro diese Aufgabe ganz selbstverständlich erfüllten.
tischgespraech.de: Wie lässt sich in einem solchen Szenario als stationärer Handel auf Dauer Geld verdienen?
Wigner: Indem diese Leistungen etwas kosten. So wie der eben genannte Friseur- oder der Bistrobesuch Geld kosten, kauft der Kunde bei uns Tickets für die Workshops oder Tickets für die Veranstaltungen auf unserer Kulturbühne. Wenn möglich bieten wir Workshops, Lesungen oder Veranstaltungen zu Waren, die wir in unserem Sortiment auch verkaufen und somit nach wie vor den Hauptumsatz in unserem Kerngeschäft, dem Warenverkauf machen.
tischgespraech.de: Warum sollten die Ambiente-Besucher außerdem unbedingt zu Ihrem Vortrag kommen.
Wigner: Weil ich ihnen Anregungen gebe, Handel anders zu denken.
Der Vortrag von Ellen Wigner ist zu hören im Rahmen der Ambiente Academy am 7. Februar 2020, 13.00 Uhr, Halle 9.1, Stand E 92.