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  • AutorenbildHartmut Kamphausen

Zeit für neue Wege und neue Macher

Aktualisiert: 28. Mai 2021

- HINTERGRUND -

 

Mit der Coronakrise gewinnt auch die Frage nach der Innenstadt der Zukunft eine verstärkte Dynamik. Sich ändernde Einkaufsgewohnheiten und sich abwendende Besucherzielgruppen machen die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, einer attraktiven Visitor Journey und die weitere Digitalisierung dringend erforderlich. Helfen dabei soll Im Bereich Lifestyle, Wohnen und Kochen auch eine brancheneigene, digitale Plattform für die Zielgruppe „Liebhaber und Hochpreissegment“. Über die Anforderungen und Möglichkeiten der Innenstädte sprachen wir mit Boris Hedde, Geschäftsführer des IFH Köln.

Die Innenstädte müssen eine ganzheitliche Visitor Journey bieten. Foto: Pixabay

tischgespraech.de: Welche Erwartungen haben Konsumentinnen und Konsumenten an die Innenstädte, haben sich diese Erwartungen durch Corona verändert?

Boris Hedde: In unserer Befragung „VITALE INNENSTÄDTE“, die wir alle zwei Jahre durchführen und für die im September 2020 – also inmitten der Coronakrise – immerhin 58.000 Einzelinterviews in 107 Städten geführt wurden, war das Antwortverhalten in puncto Erwartungen nicht im wesentlichen unterschiedlich zu den Erhebungen in den Jahren davor. Wichtiger erscheint eher die Dringlichkeit, diese Erwartungen auch zu bedienen. Denn erstens werden die Innenstadtbesucherinnen und -besucher immer älter – d.h. wir verlieren die jüngere und damit auch die Zukunftszielgruppe. Und zweitens wird gerade für diese Zielgruppe das Angebot innerstädtisch einzukaufen, durch die Möglichkeit Produkte online zu erwerben, uninteressanter. Hier brauchen wir einen klaren Switch vom reinen Produkterwerb zur erlebnisorientierten Freizeitgestaltung.

     

tischgespraech.de: Welche Funktionen der Innenstädte gewinnen, welche verlieren in der Zukunft?

Boris Hedde: Weiterhin ist der Einkauf aktuell das Besuchsmotiv Nummer 1 in den Innenstadtlagen in Deutschland. Der Unterschied zeigt sich jedoch bei den Altersgruppen. Allen Altersgruppen gemein ist, dass andere Themen an Bedeutung gewinnen: Gastronomie, Freizeit und Kultur, Wohnen und Arbeiten. Die Kombination dieser Besuchsmotive wird in Zukunft entscheidend sein. Innenstadtbesuche, die nachweislich weniger werden, sind so aufzuladen, dass mit einem Besuch mehrere Funktionen bedient werden. Dabei hat – allen Unkenrufen zum Trotz – der Handel weiterhin eine große Bedeutung. Er wird sich dafür aber wandeln müssen. Wir sprechen hier von der Visitor Journey eines Besuchers oder einer Besucherin, die mit Erlebnis und Bequemlichkeit attraktiver gestaltet werden muss.      


tischgespraech.de: Bieten eine Neubewertung bei den Besucherinnen und Besuchern und eine Neuausrichtung von Funktionen der Innenstädte Chancen für einen spezialisierten Fachhandel?

Boris Hedde: Dies ist mit einem absoluten JA zu beantworten. Die Krise und unsere Analyse hat klar aufgezeigt, dass lokale Konsumentinnen und Konsumenten auch lokale Anbieter stützen möchten. Auch wenn es in der Krise positive Beispiele gab, glaube ich allerdings nicht, dass Solidarität z. B. über Gutscheine nachhaltig wirken werden. Vielmehr muss der Fachhandel attraktiver werden im Sinne eines Fachhandels 2.0. Gerade auch junge Konsumentinnen und Konsumenten, die sich vielleicht digital besser informieren, haben gesagt, dass sie sich Anbieter mit echter Kompetenz wünschen, wo Qualität kuratiert ist und wo die Ansprache auch persönlicher ist. Die Frage lautet deshalb: Schaffen es die Fachhändler in ein modernes Verständnis von Fachhandel zu kommen. Hier ist Personal mit Kompetenz in Kundenzentrierung gefragt – sowohl auf der Produkt- als auch auf der digitalen Ebene.

tischgespraech.de: Wie viel Digitalisierung der Städte ist notwendig, um den stationären (Fach-)Handel in Innenstadtlagen zu unterstützen?

Boris Hedde: Digitalisierung darf nie ein Selbstzweck sein. Sie ist aber eine wertvolle Unterstützung, um Kundenzentrierung zu ermöglichen. Das gilt für das einzelne Handelsunternehmen aber auch für lokale Zusammenschlüsse und den gesamten Handelsstandort. Digitalisierung ist auch nicht zwangsläufig E-Commerce. Auf lokaler Ebene kann dies auch ein Lieferservice, ein Click und Collect-Angebot oder generell ein mobiler, digitale Alltagsbegleiter auf dem Handy für die lokale Orientierung und das lokale Angebot sein. Hier kann das Prinzip „Mehrwert durch lokale Vernetzung“ wirken. Gleichzeitig muss sich der Fachhandel aber auch die Frage stellen, wie er mit dem digitalen Absatzkanal umgeht. Im Bereich Lifestyle, Wohnen und Kochen sondieren wir gerade mit ausgewählten Händlern und Industrieanbietern die Möglichkeit des Aufbaus einer brancheneigenen, digitalen Plattform für die Zielgruppe „Liebhaber und Hochpreissegment“. Plattformlösungen im Fachhandel müssen aus unserer Sicht auf Basis einer bundesweiten Kooperation erfolgen. Interessenten sind gerne aufgefordert, sich uns anzuschließen.


tischgespraech.de: Mit welcher Entwicklung der Mieten ist in den Innenstädten in dieser Gemengelage zu rechnen?

Boris Hedde: In puncto Mieten kann es nur in eine Richtung gehen: Sie werden sich reduzieren müssen. Es ist aufgrund der Rahmenbedingungen in der Immobilienwirtschaft ein schmerzhafter aber unumgänglicher Prozess in einer Zeit rückläufiger Frequenzen, bei rückläufigem Bedarf an Handelsflächen und einem stetig wachsenden Onlinehandel. In der Coronakrise weist der Onlinehandel in Deutschland im Jahr 2020 so enorme Wachstumsraten auf, dass er in der Entwicklung vier Jahr übersprungen hat. Dies muss und wird Effekte bei den Mieten nach sich ziehen.         


tischgespraech.de: Wie sind die (politischen) Maßnahmen und Initiativen pro Innenstädte zu bewerten, sind sie ausreichend und zielführend und wie können einzelne Händler oder Händlergemeinschaften aktiv werden?

Boris Hedde: Es sind aus meiner Sicht zwei Dinge zu differenzieren: Unterstützung bei der finanziellen Liquidität von lokalen Unternehmen und Initiativen zur Steigerung der Attraktivität des gesamten Handelsstandortes. Erstere sind wichtig, um kurzfristig das Überleben von Geschäften zu sichern. Sie wirken aber nicht nachhaltig auf die Verbesserung von Geschäftsmodellen, die leider oft nicht mehr zeitgemäß sind. Hier kommt der zweite Punkt ins Spiel: Wenn es gelingt, sich über lokale, digitale oder auch durch stadtübergreifend kooperative Ansätze zu verknüpfen, bei denen Besuchsfrequenz und Aufenthaltsdauer im Fokus stehen, wird der Nährboden geschaffen, für mehr Lebendigkeit und damit auch für neue Geschäftsmodelle und Gründervorhaben. Hier sehe ich Städte in der Federführung, aber auch lokale Initiativen als aktive Unterstützer. Es ist eine Zeit der neuen Themen, der neuen Wege und neuen Macher. Dies wird nur mit lokaler Zusammenarbeit möglich, bei der alle Vertreterinnen und Vertreter verantwortlich sind und proaktiv mitwirken müssen.


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