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Einzelhändler müssen zu Experience Designern werden, sagt Wolf Thiem. Er zeichnet mit seinem Team verantwortlich für die neueste Ausgabe des Trendbooks „Zukunft des Shoppings. 15 Shopper-Trends für 2022 und darüber hinaus“. Wir haben mit ihm über die Entwicklungen des Handels, den Einfluss der Pandemie und den „Kipppunkt“ des Einzelhandelsumsatzes gesprochen.
tischgespraech.de: Sie haben in Ihrem Trendbook 15 Megatrends benannt. Auch wenn diese alle mega sind, gibt es darunter Mega-Mega-Trends und wenn ja, welche würden Sie dort einordnen?
Wolf Thiem: Die 15 Megatrends bilden das Framework für unsere Trendbooks zur Zukunft des Shoppings und sind das Ergebnis jahrelanger Recherchen und Analysen. Natürlich schwankt ihre Gewichtung und ist abhängig von den aktuellen sozialen, ökonomischen und technologischen Entwicklungen, die unser Leben beeinflussen.
Durch die Pandemie hat beispielsweise der Megatrend Nearwana enorm an Bedeutung gewonnen. In den vergangenen beiden Jahren boomte nicht nur der E-Commerce. Auch Local Shopping erlebte eine Renaissance. Momentan nimmt der Megatrend Inspiretail wieder an Tempo auf. Nach den Lockdowns und den Monaten im Homeoffice kehren die Shopper erlebnishungrig in die Läden zurück. Stores müssen sich jetzt als inspirierende Erlebnisorte präsentieren, sonst haben sie schlechte Karten.
tischgespraech.de: Wie stark hat Corona die Shopping-Gewohnheiten beeinflusst und tut dies noch immer, hat sich dadurch wirklich Neues im Bereich des Shoppings entwickelt?
Wolf Thiem: Über die Tatsache, dass die Pandemie den E-Commerce-Boom verstärkte, ist viel berichtet worden. Auch jene, die bisher nicht im Internet einkauften, haben die Vorteile des Online-Shoppings während der Lockdowns kennen und schätzen gelernt. Einer IBM-Studie zufolge hat es die Ausbreitung des E-Commerce um fünf Jahre beschleunigt. Diese Entwicklung lässt sich nicht umkehren.
Viel entscheidender für die Zukunft des Shoppings ist jedoch, dass der Pandemie-bedingte E-Commerce-Boom einen enormen Innovationsschub auslöste – und das nicht nur online, sondern auch offline.
Zurzeit experimentiert der Online-Handel intensiv mit immersiven Techniken wie Livestreams, 3D-Content, Augmented und Virtual Reality. Auf diese Weise will er – zumindest so gut es geht – das physische Shopping-Erlebnis digital nachbilden, um die Erlebnisqualität des Online-Einkaufs zu erhöhen.
Währenddessen bemüht sich der stationäre Handel sehr darum, die physischen und digitalen Kanäle stärker miteinander zu verbinden, um Shoppern eine konsistente und kanalübergreifende In-Store-Experience zu vermitteln.
tischgespraech.de: Was bestimmt in einer Post-Corona-Zeit das Einkaufsverhalten?
Wolf Thiem: Auch wenn die Pandemie bald besiegt sein sollte, wird es eine Rückkehr zur Normalität so schnell nicht geben – wenn überhaupt. Der Schrecken der vergangenen beiden Jahre und die Angst vor dem Virus werden das Einkaufen noch lange begleiten. „Safety first“ wird auf Jahre hinaus oberstes Gebot beim Shoppen sein.
Dabei geht es nicht nur darum, dass der Handel bemüht sein muss, die Sicherheit vor Ansteckung im Laden zu erhöhen, indem er zum Beispiel die Zahl der physischen Kontaktpunkte reduziert. Da sich Angst und Stress negativ auf das Einkaufsverhalten auswirken, wird er alles daransetzen müssen, dass die Konsumenten wieder mehr Lust am Shoppen bekommen. Hierbei können digitale In-Store-Technologien hilfreich sein – sofern dabei der Mensch und nicht die Technik im Mittelpunkt steht.
tischgespraech.de: In China wird inzwischen mehr als die Hälfte des Einzelhandelsumsatzes online erzielt, wann ist in Deutschland mit dem „Kipppunkt“ zu rechnen? Spielt dabei eine digitale Welt wie Metaverse eine Rolle?
Wolf Thiem: China nimmt eine absolute Sonderstellung in der Welt ein. Selbst Südkorea, das an zweiter Stelle liegt, hat nur einen Online-Anteil von 29 % am Einzelhandelsumsatz und ist damit weit abgeschlagen. In den USA, der Nummer drei der Welt, beträgt er sogar nur 15 %.
Der deutsche Einzelhandel hat ein Szenarium wie in China in absehbarer Zeit nicht zu befürchten. Trotz seiner jährlichen Zuwächse ist der E-Commerce hierzulande weit davon entfernt, den Kipppunkt auch nur ansatzweise zu erreichen.
Daran wird auch das Metaverse so schnell nichts ändern – falls es je Realität werden sollte. Auch wenn es gerade eines der heißesten Buzzwords der IT-Szene ist, darf man nicht vergessen, dass es bereits seit Anfang der 1990er Jahre durch die Köpfe der globalen Tech-Elite geistert. Was wir jetzt erleben, sind erste, wenn auch spannende Comeback-Versuche nach dem Scheitern von „Second Life“.
Wie es mit den virtuellen Shopping-Welten weitergeht, werden wir bei PudelsKern aufmerksam verfolgen. Mittlerweile gibt es sogar schon erste Bemühungen, das Metaverse in die reale Welt des Einzelhandels zu übertragen.
tischgespraech.de: Welche Schlussfolgerungen kann ein Facheinzelhändler aus dem Trendbook ziehen, welche Konsequenzen muss er ziehen?
Wolf Thiem: Unser aktuelles Trendbook ist mittlerweile das fünfte in einer Reihe von Reports zur Zukunft des Shoppings. Wenn man sie sich zusammen anschaut, erkennt man schnell, dass es nicht genügen wird, wenn Einzelhändler in Zukunft versuchen, nur ein wenig besser zu werden.
Stattdessen müssen sie aufhören, wie konventionelle Einzelhändler zu denken, und zu Experience Designern werden. Sie müssen aus Sicht der Kunden erkennen, was es heißt, keine Produkte zu verkaufen, sondern Erlebnisse.
Unsere Zukunftsvision für den Einzelhandel ist, dass die Shopper beim Betreten eines Stores das Gefühl haben, sich an einem besonderen Ort zu befinden, der speziell für sie entworfen wurde, so dass sie sich die Zeit nehmen, diesen Ort zu erkunden.
Über den Gesprächspartner:
Wolf Thiem ist Mitinhaber von Gretchenfrage, der Agentur für kreative Antworten, und PudelsKern, dem Shopper Xperience Designlab der Gretchenfrage. Als Head of Trends & Insights von PudelsKern unterstützt er Unternehmen strategisch und kreativ bei der Planung, Gestaltung und Umsetzung einer trendgetriebenen Shopper Experience. Er ist Herausgeber von Trendbooks zur Zukunft des Shoppings, Autor eines Trendblogs, Keynote Speaker und Trendinnovator.
Über das Trendbook:
„Zukunft des Shoppings. 15 Shopper-Trends für 2022 und darüber hinaus“
15 Shopper Trends, 90 verlinkte Best Cases, 112 Seiten inspirierender Content
Kostenfreier Download unter: www.pudelskern.info/trend-briefs/
Über PudelsKern. Shopper Xperience Designlab:
Seit 2009 beobachtet und analysiert PudelsKern Trends, die für die Zukunft des Shoppings relevant sind. Mit seinem Trendwissen unterstützt das Designlab Unternehmen strategisch und operativ dabei, ihre Shopper Experience so zu gestalten, dass sie den Erwartungen ihrer Kunden immer einen Schritt voraus ist.
Über Gretchenfrage! Agentur für kreative Antworten
Seit 2003 stellt Gretchenfrage die Frage nach dem Wesentlichen in der Werbung. Als Agentur für kreative Antworten arbeitet sie für national und international bekannte Marken im Bereich Brand- und Shopper-Engagement. Für ihre Kreationen wurde Gretchenfrage bereits mit verschiedenen Awards ausgezeichnet.