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  • AutorenbildChristine Dicker

Alles nur ein Spiel: Wie der Tisch zur Tafel wird

- HINTERGRUND -

 

Die Designautorin Claudia Simone Hoff sprach mit einer Porzellankoryphäe: Wiebke Lehmann liebt Keramik, seit sie denken kann. Schon in ihrer Kindheit kam sie mit dem versatilen Material in Berührung, denn ihr Vater war leidenschaftlicher Sammler von Studiokeramik und nahm sie mit zu Ausstellungen und Kunstgewerbemessen. „Mich hat Geschirr schon immer interessiert. Wenn ich auf den Flohmarkt gehe, dann sehe ich nur Porzellan und Keramik“, erzählt Lehmann lachend.


Es folgte der klassische Weg: eine Ausbildung als Töpferin, ein Studium der Keramikgestaltung, eigene Werkstätten in London und Berlin. Was danach kam, war allerdings alles andere als klassisch. Zusammen mit Stefanie Hering gründete Lehmann Ende der Neunzigerjahre das Porzellanlabel Hering Berlin und wirbelte die eher träge Branche mit neuen Ideen vom gedeckten Tisch auf: miteinander kombinierbare Einzelstücke statt Komplettservice, Oberflächen aus Biskuitporzellan, auf bestimmte Speisen zugeschnittene Dekore, verschwenderisch eingesetztes Gold, Silber und Platin.

Innenarchitektin des Tischs

Nachdem Lehmann nach rund 20 Jahren Hering Berlin verlassen und für Meissen die rein weiße Kollektion White Collage entwickelt hatte, machte sie sich selbständig. Mit ihrem Unternehmen Tawl ist sie der Branche treu geblieben und berät (Sterne-)Restaurants wie „Schreiberei“ (Tohru Nakamura), „Sonnora“ (Clemens Rambichler) und „Lovis“ (Sophia Rudolph) im Bereich Tableware – und stattet sie aus mit Geschirr, Besteck, Gläsern und Tischwäsche. Eines ihrer Spezialgebiete ist Geschirr aus Keramik und Porzellan – von Manufakturen wie J.L Coquet, Studio Mattes und Müritzkeramik.


Allesamt Hersteller, die in Deutschland noch relativ unbekannt sind, sich aber auszeichnen durch eine ungewöhnliche Formenvielfalt, handwerklich fein gearbeitete Stücke und überraschende Designs. „Die Kollektionen von J.L Coquet aus Limoges wirken durch ihre austarierten Proportionen sehr elegant“, sagt Lehmann. Porzellan aus Frankreich sei insgesamt sehr viel raffinierter als sein deutsches Pendant, ergänzt sie – wahrscheinlich deshalb, weil es dort generell ein größeres Verständnis für die Sternegastronomie gibt. Die Teller von J.L Coquet beispielsweise haben einen höheren Fuß, weshalb sie fast zu schweben scheinen, was technisch so nur in einer Manufaktur umsetzbar ist.


Lehmann schwärmt außerdem von der Finesse der Kristallglasuren von Jaune de Chrome: „Sie überhöhen die Speisen, die serviert werden.“ Das belgische Studio Mattes bezeichnet sie als enfant terrible der Branche. Warum das so ist, wird schnell klar, wenn man die ungewöhnlichen Präsentationszylinder mit Schrumpfglasur oder die archaisch wirkenden Schalen und Teller mit gebrochenen Rändern betrachtet, deren Reiz gerade in ihrer Unvollkommenheit liegt. In Kombination mit den darauf servierten, verfeinerten Speisen entfalten sie eine ganz besondere Ästhetik. Schließlich ist Essen ein Gesamterlebnis, dient nicht nur der Nahrungsaufnahme, sondern ist ein sinnlicher Akt – für Gaumen, Augen und Hände.

Auch wenn ihre Manufakturkunden bereits ein großes Spektrum an Formen, Farben und Materialien abdecken, besinnt sich Lehmann manchmal auf ihre handwerklichen Wurzeln und setzt auch eigene Entwürfe um. So entstehen Sonderanfertigungen wie die individuellen Platzteller für das Hamburger Restaurant „100/ 200 kitchen“ (Thomas Imbusch) in Zusammenarbeit mit KPM oder ein Dekor in Scherenschnitttechnik für ein Frühstücksservice von Reichenbach. Rahmen für das Essen

Lehmann merkt man ihre Begeisterung für das Thema Tableware und ambitionierte Kochkunst an, wobei sie sich im Laufe der Jahre ein unglaubliches Wissen angeeignet hat, weshalb sie ihren Kunden auf Augenhöhe begegnen kann. Auch, weil sie sich selbst und die Köche als Kunsthandwerker versteht. „An der Arbeit mit Köchen gefällt mir, dass ich mit jemanden zusammenarbeite, der genau weiß, was er braucht“, sagt sie. Ihre Herangehensweise besteht in der Kombination verschiedener Kollektionen, weil sich so neue Bilder auf dem gedeckten Tisch ergäben, sagt sie. Dieser Trend ist inzwischen auch im Privatbereich angekommen, wobei die Sternegastronomie ein wichtiger Impulse-Geber war.


Denn Spitzenköche sind seit jeher experimentierfreudig – in Bezug auf die Speisen, aber auch auf die verwendete Tableware. Sie kombinieren fast immer verschiedene Formen, Farben und Materialien, quer über Hersteller und Manufakturen hinweg. „Der Teller ist ein Rahmen für das Essen“, sagt Lehmann. „Köche brauchen eine Anrichtefläche für ihre Food-Kreationen.“ Auch Lehmann mischt gern verschiedene Stile: In ihrer Dachgeschosswohnung in Berlin-Mitte treffen handgefertigte Keramikteller mit einer gold-blauen Glasur des schwedischen Töpfers Stefan Andersson auf Stücke von Reichenbach, das Schwanen-Dekor von Meissen und eigene Entwürfe wie bemalte Teller und Kerzenleuchter. „Mich interessiert Geschirr, das man jeden Tag benutzt“, sagt die 58-Jährige. Was nicht bedeutet, dass es rein funktional oder gar langweilig zugehen muss auf dem gedeckten Tisch. Im Gegenteil, Lehmann wünscht sich mehr Kombinationsfreude, mehr Wagemut, kurz: einen spielerischen Umgang mit dem Geschirr wie in Frankreich und England. Nicht umsonst sagt man dort: to dress the table. https://www.tawl.cc/

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