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  • AutorenbildChristine Dicker

Interview zum Verpackungsgesetz

- HINTERGRUND -

 

Bereits seit über 20 Jahren ist Norma Stangl, Inhaberin des Beratungsbüros Forschgruen in Essen, in puncto Entsorgung und ­Umweltmanagement tätig. Seit fast zehn Jahren prüft sie zudem Firmen in Handel und Industrie als öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige.

Als registrierte Sachverständige nach § 27 VerpackG ist sie auch in das neue Verpackungsgesetz involviert. Dieses Interview wurde veröffentlicht im SG Magazin, der Printpublikation des Verbandes Sweets Global Network. Wir bedanken uns bei dem Münchener Verband, dass wir das Interview übenehmen durften!

Die ersten Meldungen von Seiten der Zentralen Stelle Verpackungs­register (ZSVR) und der dualen Systeme nach einem halben Jahr Verpackungsgesetz klingen nicht sehr positiv. Was ist hier geschehen?

Norma Stangl: Gute Frage – die ZSVR hatte eine Untersuchung zur Anzahl der zur Registrierung verpflichteten Unternehmen vornehmen lassen. Bisher hat nur ein geringer Teil dieser geschätzten Anzahl tatsächlich eine Registrierung vorgenommen. Und die tatsächliche Menge an gemeldeten Verpackungen hat zwar im Bereich PPK zugelegt, was wohl auf den Onlinehandel zurückzuführen ist. Doch im Bereich der Leichtverpackungen blieben die Mengen hinter den Erwartungen zurück.

Wir hatten angenommen, dass vor allem Kleinbetriebe und Fachhändler mit dem neuen VerpackG nicht zurechtkommen, aber nun stehen plötzlich die nicht erfolgten Vollständigkeitserklärungen (VE) im Mittelpunkt. Überrascht Sie das?

Norma Stangl: Ja und nein. Manche Unternehmen haben in der Vergangenheit bewusst keine VE abgegeben, obwohl sie es hätten tun müssen, und dies wurde bisher nur selten nachverfolgt. Es wurde häufig als lästige Pflicht betrachtet. Andere wussten bisher tatsächlich nicht, dass sie hier Pflichten hätten und haben daher erneut nicht reagiert. Inzwischen weisen auch die dualen Systeme auf die Pflichten hin.



Die ZSVR spricht von 2.000 Fällen im Hinblick auf die VE.

Norma Stangl: Diese rund 2.000 ­Fälle sollten aufgefallen sein, weil die Unternehmen seit 2019 neben der Mengenmeldung an ein duales System diese auch bei der ZSVR einreichen müssen (§ 10 VerpackG). Dazu zählt auch die Jahresabschlussmeldung für 2018. Zudem melden die dualen Systeme ihrerseits alle Mengen an die ZSVR.

Die Fälle sind von der ZSVR an die Bundesländer übergeben worden. Wer ist hier zuständig?

Norma Stangl: Gem. § 26 Nr. 21 der VerpackG informiert die ZSVR „die zuständigen Landesbehörden unverzüglich, wenn ihr konkrete Anhaltspunkte für die Begehung einer Ordnungswidrigkeit nach § 34 vorliegen, und fügt vorhandene Beweisdokumente bei“. Letztendlich sind die „unteren Abfallbehörden“ der Städte und Landkreise zuständig, die Ordnungswidrigkeiten nachzuverfolgen und ggf. zu vollziehen.

Wie lange wird es dauern, bis die ersten Strafen verhängt werden?

Norma Stangl: Dazu gibt es bisher keine Erfahrungen, das kann man nur abwarten. Auch im Hinblick darauf, wie die einzelnen Länder reagieren, gibt es bisher wenige Erfahrungen. Einige Bundesländer, besonders aus dem Süden, waren bereits in der Vergangenheit strenger als andere bei der Verfolgung von Verstößen. Ein einheitliches Vorgehen wäre sicherlich sinnvoll.

Sie haben beim SG-Workshop am Beispiel der Marke Milka gezeigt, dass viele Verantwortliche verwirrt sind. Immerhin gibt es zu der einen Marke rund 40 Einträge von verschiedenen Firmen, u. a. auch von einer Bäckerei. Wie groß ist die Gefahr, dass für ein und dieselbe Verpackung doppelt und dreifach gezahlt wird?

Norma Stangl: Ich gehe davon aus, dass die Anmeldung der Marke Milka ein Missverständnis ist, das auf der Hersteller-Definition des VerpackG beruht. Viele Unternehmen haben alle Marken registriert, die sie vertreiben, ohne jedoch tatsächlich Hersteller im Sinne des VerpackG zu sein. Ob eine Doppelzahlung vorliegt, ist daher individuell zu prüfen.

In ihrer Halbjahresbilanz schreibt die ZSVR auch, „dass die Produktverantwortung von einer erschreckend hohen Anzahl an Prüfern nicht vertieft verstanden wurde“. Wie kann das sein?

Norma Stangl: Dazu kann ich wenig sagen, allerdings haben wir als Sachverständige die Erfahrung gemacht, dass häufig nur die Richtigkeit der Zahlen geprüft wurde, nicht aber z. B. die Zuordnung der Mengen bei Drittbeauftragungen o. ä. berücksichtigt wurde. Nun gibt es aber Prüfleitlinien, die zu einer Verbesserung der Prüfergebnisse führen sollten.

Hat die ZSVR die Situation falsch eingeschätzt? Es hat sich ja so viel nicht zur VerpackVO verändert.

Norma Stangl: Die Pflicht zur Abgabe einer Vollständigkeitserklärung gibt es eigentlich schon seit Inkrafttreten der 5. Novelle der VerpackV am 1. Januar 2009. Ebenso gilt seither die Pflicht zur Beteiligung an einem dualen System für Verkaufsverpackungen, die für den privaten Endverbraucher bestimmt sind. Die Erfüllung dieser Pflicht musste aber nirgendwo kundgetan werden. Die Vollständigkeitserklärungen waren im Register der IHK zu hinterlegen. Bei den eingetragenen Unternehmen und Abweichungen zwischen Mengen des Unternehmens und der dualen Systeme gab es sehr wohl eine Rückmeldung und Nachfragen der zuständigen Behörden. Und die Verstöße gegen die Pflicht zur Beteiligung hätten auch in der Vergangenheit geahndet werden müssen.

Sie sind als Beraterin und Prüferin unterwegs, aber auch als Referentin in vielen Workshops und Arbeitskreisen engagiert, etwa im Vorstand von Probatio, einem Verein für faire Umweltgesetzgebung. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen?

Norma Stangl: Ich beobachte immer noch große Unsicherheiten zu Verpflichtungen und Begrifflichkeiten bei kleinen, aber auch größeren Unternehmen. Viele stellen die Frage, wer muss was wann und wie machen. Hierzu bedarf es personeller Ressourcen, um beispielsweise ein fundiertes Stammdatenmanagement aufzubauen und auch die Prüfung der Recyclingfähigkeit usw. durchzuführen.


Registrierungen finden wohl nach wie vor im Laufe des Jahres statt. Wie geht die ZSVR damit um?

Norma Stangl: Unterjährige Registrierungen sind immer dann möglich, wenn ein Unternehmen neu gegründet wurde. In allen anderen Fällen sollte § 34 Nr. 7 VerpackG beachtet werden, der besagt: „Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 9 Absatz 1 Satz 1 sich nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig registrieren lässt.“ Auch hier kann die ZSVR entsprechend nachforschen.

Wie weit ist man beim „Mindeststandard zur Recyclingfähigkeit von Verpackungen“?

Norma Stangl: Der Entwurf zum Mindeststandard datiert vom 14. Juni 2019 und wurde etwas später veröffentlicht. Anmerkungen konnten bis zum 12. Juli 2019 bei der ZSVR eingereicht werden. Der Standard richtet sich in der Hauptsache an die dualen Systeme, welche die Anforderungen des § 21 Abs. 1 und 2 VerpackG umsetzen müssen. Für die beteiligten Unternehmen kann dies indes nur eine Richtschnur bei der Bewertung der eingesetzten Verpackungen darstellen. Bei der Gestaltung von Verpackungen und dem Einsatz von Verpackungsmaterial spielen noch ganz andere Aspekte eine Rolle – der Produktschutz beispielsweise.

Auch die dualen Systeme zeigen sich enttäuscht, sie haben mit wesentlich höheren Mengen an LVP gerechnet. Wird es jetzt Preiserhöhungen geben? Norma Stangl: Davon ist auszugehen. Es ist bereits im laufenden Jahr von einigen Systemen erfolgt. Weiteres wird man sicherlich im vierten Quartal 2019 wissen.

In den Diskussionen dreht sich fast immer alles um Recyclingfähigkeit. Die Umstellung auf PPK oder Reduktion werden in der Debatte meiner Wahrnehmung nach eher vernachlässigt. Stimmt der Eindruck?

Norma Stangl: Die Recyclingfähigkeit bezieht sich zunächst auf die „Nachgebrauchsphase” einer Verpackung und deren „Verhalten” in Sammlung, Sortierung und Verwertung. Sicherlich ist es sinnvoll, den gesamten Lebenszyklus einer Verpackung von Gestaltung über Produktschutz bis hin zur Verwertung und evtl. Wiedereinsatz als Recyclat zu betrachten. Da spielt Recyclingfähigkeit auch eine Rolle; aber andere Ansätze – so zum Beispiel der Einsatz anderer Materialien, Einsparung des Materials durch Änderung von Materialstärken und ähnliches – sollten nicht außer Acht gelassen werden. Hier dürfte sich aus Kostengründen viel Einsparungspotenzial für die Firmen ergeben.

Wie sieht die Situation im übrigen Europa aus? Frankreich plant wohl ein eigenes Anti-Abfall-Gesetz.

Norma Stangl: Die EU-VerpackRL musste in jedem EU-Land in nationales Recht umgesetzt werden. Wie dies das jeweilige Land tat, war den Gegebenheiten des Landes geschuldet. So sehen sich verpflichtete Unternehmen derzeit nicht nur 28 unterschiedlichen Regelungen gegenüber, sondern auch 28 unterschiedlichen Voraussetzungen bei Sammlung, Sortierung oder Verwertung. In einigen EU-Ländern wird z. B. noch viel deponiert. Da hieße Recyclingfähigkeit sicherlich etwas anderes als in Deutschland und setzt gegebenenfalls andere Lösungen voraus. Das heißt, es ist immer eine länderspezifische Betrachtung angeraten.

www.forschgruen.de

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